Energie sparen um jeden Preis ?
(AMz-Bericht 3/1999)Einleitung
In den letzten Jahren sind eine Vielzahl von
hochwärmegedämmten Wohnhäusern mit zumeist aufwendiger
Anlagentechnik entstanden, deren Heizenergiebedarfswerte den sog. Niedrigenergiehaus-Standard
deutlich unterschreiten. Diese, zur Zeit noch in geringer Stückzahl auf dem Markt
vertretenen Objekte sind häufig gut dokumentiert und unter wissenschaftlicher
Begleitung realisiert worden. Teilweise wurden umfangreiche Messungen der Energieflüsse
und des Nutzerverhaltens durchgeführt und analysiert. Ultraniedrigenergiehäuser,
Passivhäuser Nullheizenergiehäuser und sogar Nullenergiehäuser sind in der
Literatur zu finden, eine allgemein gültige einheitliche und vor allem klare Definition
der energetischen Qualität derartiger Gebäude ist ebenso wenig vorhanden wie
für das seit Jahren gebaute Niedrigenergiehaus. Dennoch haben sich gewisse Bezeichnungen
im allgemeinen Sprachgebrauch festgesetzt:
Niedrigenergiehaus:
Gebäude mit einem Heizwärmebedarf, der gegenüber dem nach WSchV 1984 geforderten
Niveau weniger als die Hälfte beträgt, bzw. einem Heizwärmebedarf
Q``
Ultraniedrigenergiehaus:
Etwa halbierter Heizenergiebedarf eines Niedrigenergiehauses unter besonderer Berücksichtigung
der Anlagentechnik [3], also mit Bewertung der Heizungs- und/oder Lüftungsanlage.
Passivhaus:
Haus mit extremer Wärmedämmung und ohne Heizsystem, lediglich
Zuluftvorwärmung über eine hocheffiziente Lüftungsanlage,
kein Fensteröffnen während der Heizperiode [4].
Nullheizenergiehaus:
Gebäude ohne fossile Heizwärmeerzeugung, daher mit saisonaler Speichertechnik
zur aktiven thermischen Solarenergienutzung ausgerüstet [5].
Nullenergiehaus:
Energieautarkes Gebäude ohne Strom- oder Gasanschluß
bzw. Öltank [6]. Benötigt thermische und elektrische Speicherkapazitäten.
Ausstattungsmerkmale
Das Erreichen der zuvor definierten Standards erfolgt vorrangig über einen hohen baulichen Wärmeschutz und darüber hinaus je nach Reduktionsziel über entsprechend umfangreiche anlagentechnische Maßnahmen. Die nachfolgende Tabelle gibt Größenordnungen der Wärmedurchgangskoeffizienten (k-Werte) der wärmetauschenden Hüllflächen und der notwendige Anlagentechniken beispielhafter Objekte wieder. Hierbei ist nicht maßgebend, daß jede Einzelgröße exakt eingehalten wird, sondern insbesondere die Energiebilanz der Gebäude sorgfältig aufeinander abgestimmt und ausgewogen ist.
Haus- typ |
Wärmedurchgangskoeffizienten [W/(m2K)] | Lüftung | Heizung | Sonstiges | ||||
Außen- wand |
Fenster | Dach |
Keller/ Erdreich |
Neben- räume |
||||
WSchV 95 | 0,5 | 1,7 | 0,25 | 0,5 | 0,5 |
über Fenster |
Standard | - |
Niedrig- energie |
0,35- 0,4 |
1,3- 1,4 |
0,2 | 0,35 | 0,35 |
u.U. LWRG |
Standard/ optimierte Technik |
- |
Ultra- niedrig- energie |
0,15- 0,20 |
0,75 |
0,12 0,17 |
0,24 |
0,14- 0,16 |
LWRG h > 0,8, Erdreich- wärme- tauscher |
optimierte Kombi- nation Warm- wasser- heizung/ Brauch- wasserer- wärmung |
Abschal- tung der LWRG bei Fen- ster- öffnen |
Passiv | 0,14 | 0,70 | 0,10 | 0,13 | - |
LWRG h > 0,8, Erdreich- wärme- tauscher |
lediglich Nachhei- zung der Zuluft |
kein Fen- steröff- nen in der HP |
Null- heiz- energie |
0,08- 0,19 |
0,7- 1,20 |
0,09- 0,12 |
0,10- 0,23 |
- |
LWRG h > 0,8, ggf. Erd- reich- wärme- tauscher |
einfache Warm- wasser- heizung, ohne Heizkes- sel |
WW- Kollek- toren, 20 m3 saiso- naler Speicher |
Null- energie |
0,16 | 0,60 | 0,19 | 0,18 | - |
LWRG h > 0,85, Erdreich- wärme- tauscher |
Brenn- stoffzelle mit eige- ner Was- serstoff- erzeu- gung |
WW- und PV-Kol- lektoren, Batterien, TWD |
Kostensituation
Die baulichen Energieeinsparmaßnahmen und vor allem die anlagentechnischen Zusatzausstattungen der zuvor beschriebenen Standards sind mit Mehrkosten behaftet. Diese sind in drei Gruppen zu unterteilen. Zum einen ergeben sich investive Mehrkosten gegenüber den Bauweisen mit einem Wärmeschutz gemäß den gesetzlichen Anforderungen.
Diese Zusatzinvestitionen führen in der Regel automatisch zu erhöhten Planungskosten,
wenn bei Verwendung komplizierter Anlagentechnik die Einschaltung von Fachingenieuren erforderlich wird.
Zum anderen aber, und das wird häufig vergessen, sind erhöhte Betriebskosten
für strombetriebene Aggregate durch zusätzlichen Wartungsaufwand z. B. bei
Lüftungsanlagen einzukalkulieren. Eine Amortisationsrechnung zusätzlicher
Maßnahmen ist daher nur für jeden individuellen Fall durchführbar und bei
den derzeit niedrigen Energiepreisen fossiler Brennstoffe fast nie positiv. Ein Punkt,
der bei einer Kostenbetrachtung nicht unberücksichtigt bleiben darf, sind die Entsorgungskosten
spezieller Maßnahmen bei Abriß und Erneuerung. Dies trifft für die Anlagentechnik
z. B. Photovoltaik aber auch für in der Gebäudehülle eingesetzte Verbundwerkstoffe
zu. Da die Spannweite der Zusatzinvestitionen sehr groß ist, kann die nachfolgende Tabelle
nur als grober Anhalt für die zu erwartenden Kosten gelten.
Kostenbereich |
Niedrig- energie |
Ultraniedrig- energie |
Passiv |
Nullheiz- energie |
Nullenergie |
Wärmeschutz | 6-10 | 25-40 | 10-50 | 40-50 | k.A. |
Anlagentechnik | 2-12 | 15-30 | 10-30 | 80-140 | 700 |
Summe | 8-22 | 40-70 | 20-80 | 120-190 | ca. 700 |
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
Am Beispiel eines Einfamilienhauses stehen den dargestellten Mehrkosten zwischen z. B. dem Niedrigenergiehaus-Standard und dem Ultraniedrigenergie- bzw. Passivhaus von im Mittel 40 TDM bzw. etwa 250 DM/m
2 Wohnfläche etwa 30 kWh/(m2a) Heizenergieeinsparung gegenüber. Bei Energiekosten von 0,045 DM/kWh ergäbe sich bei statischer Amortisationsberechnung ein Zeitraum von über 150 Jahren zur Refinanzierung. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß eine Halbierung der k-Werte gegenüber der NEH-Bauweise zusätzliche Dämmstoffstärken der opaken wärmetauschenden Hüllfläche von 12 bis 16 cm Dicke erforderlich macht, fallen für ein Einfamilienhaus mit einer Hüllfläche von etwa 400 m2 zusätzlich 50 m3 Dämmstoffe an. Dies bedeutet bei festgelegten Gebäudeaußenmaßen 20 m2 Wohnraum weniger zur Verfügung zu haben. Der finanzielle Ausgleich hierfür sollte ebenfalls einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung unterzogen werden.Die Situation der Betriebskosten stellt sich für die unterschiedlichen Baustandards in ähnlicher Weise dar. Neben den verbrauchsgebundenen Brennstoffkosten ergeben sich für alle fossil befeuerten Anlagen Fixkosten und nahezu verbrauchsunabhängige Kosten für elektrische Hilfsenergien.
Kostenart | WSchV 95 |
Niedrig- energie |
Ultraniedrig- energie |
Nullheiz- energie |
|
Gasheizung |
verbrauchs- gebunden |
540 | 340 | 140 | 0 |
Fixkosten | 400 | 400 | 400 | 100 | |
Strom | Antriebe | 140 | 140 | 280 | 410 |
Gesamt- kosten |
jährlich | 1080 | 880 | 820 | 520 |
nutzflächen- bezogen [DM/(m2a)] |
7,20 | 5,90 | 5,50 | 3,50 |
Die Nicht-Inanspruchnahme fossiler Brennstoffe im Nullheizenergiehaus führt lediglich zu einer Halbierung der energierelevanten Betriebskosten gegenüber dem gesetzlich verordneten Energiebedarfsniveau und macht im Beispiel etwa 500 DM pro Jahr im Einfamilienhaus aus. Die Betriebskostenreduktion zwischen WSchV95-Standard und einem Niedrigenergiehaus liegt bei etwa 200 DM/a. Dieser Wert deckt sich mit einer Vielzahl von Literaturstellen ebenso wie mit den Erfahrungen im Ziegel-Demonstrationsvorhaben Bochum-Werne [8]. Hier betragen die Minderkosten zwischen 120 und 220 DM/a je Wohneinheit. Die hohe Schwankungsbreite wird im wesentlichen durch das stark unterschiedliche Nutzerverhalten in den neun untersuchten Gebäuden bestimmt.
Fazit
Für die in der Summe recht kleinen jährlichen Betriebskosteneinsparungen von Gebäuden mit extrem geringem Energiebedarf lassen sich bei dem derzeit sehr niedrigen Zinsniveau von etwa 5 Prozent und bei Annahme einer 1-prozentigen jährlichen Tilgungsrate etwa 2000 - 3500 DM kostenneutral finanzieren. Mit derart unattraktivem Investitionspotential lassen sich selbst bei besten Willen zu ressourcensparenden Bauen und Gebäudebetrieb keine über die gesetzlichen Anforderungen hinweg interessanten Maßnahmen realisieren.
Eine qualitativ hochwertige Ausführung bewährter Bauweisen mit einem den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Standard wird sich bei energiebewußtem Wohnverhalten derzeit ein wirtschaftlich interessanterer Einspareffekt erzielen lassen als überzogene bauliche und anlagentechnische Zusatzmaßnahmen.
Literatur
[1] Sperber, Schettler-Köhler: Wärmeschutzverordnung `95. Handbuch für die planerische und baupraktische Umsetzung. Verlag Hubert Wingen, Essen (1994).
[2] Ministerium für Bauen und Wohnen, NRW: Niedrigenergiehaus-Förderung NRW. Düsseldorf, Juni 1993.
[3] Hillmann, e. a. : Ultra-House Rottweil. International Symposium Energy Efficient Buildings, Proceedings, Leinfelden-Echterdingen, Germany (1993), S. 129-136.
[4] Feist : Passivhäuser in Mitteleuropa. Dissertation Universität Kassel, Institut Wohnen und Umwelt, 1993.
[5] Bine Informationsdienst: Solare Energiesparhäuser. Pilotprojekt Rottweil und Berlin, Bine Projekt Info-Service, Bonn, Nr.9, Oktober 1997.
[6] Voss, e. a.: Das energieautarke Solarhaus. Bauphysik 15 (1993) H. 1, S. 10 - 14 und H. 3, S. 90 - 96.
[7] Erhorn: Nullheizenergiehäuser marktreifauch marktgängig ? Bauphysik 20 (1998) H. 3, S. 69 - 73.
[8] Kluttig, Erhorn: Niedrigenergiehäuser in Ziegelbauweise. Abschlußbericht WB 100/1998, Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Stuttgart (1998).
[9] Eicke-Hennig, e. a.: Empirische Überprüfung der Möglichkeiten und Kosten im Gebäudebestand und bei Neubauten Energie einzusparen und die Energieeffizienz zu steigern. Endbericht IWU, Darmstadt (1994).
[10] Kluttig, e. a.: Vom Niedrigenergie zum Null-Heizenergiehaus! wksb 42 (1998), H. 42, S. 3 - 5.
Bonn, 18. März 1999
Gi-GdJ AMz